Henryk M. Broder
DIE IRREN VON ZION
Interview mit Henryk M.
Broder über sein neues Buch, eine provokante Jubiläumsausgabe zum
50.Jahrestag der Gründung des Staates Israel.
Ihr Buch zum Israel-Jubiläum ist sehr
witzig. Doch manchmal ist mir das Lachen im Halse stecken geblieben, zum
Beispiel beim Titel "Die Irren von Zion": Das ist doch eine Variation
des antisemitischen Klassikers "Die Protokolle der Weisen von Zion"?
Es ist keine Variation, sondern eine
Umkehrung. Der antisemitische Mythos von den "Weisen von Zion" wird von
mir aufgespießt, so wie ich mit dem Titel meines Buches "Der ewige
Antisemit" das Bild vom "Ewigen Juden" aufgespießt habe. Ich vertraue
dabei natürlich auf die Bildung des Lesers: Daß er die Anspielung
erkennt und dechiffriert.
Wenn man Jerusalem überdachen könnte,
wäre es eine geschlossene Anstalt, zitieren Sie zustimmend einen Freund.
Israel - ein Käfig voller Narren?
Das Zitat stammt von Gad Granach. Wenn ich
recht überlege, sind er und der Palästinenser Jamil Hamad tatsächlich
die einzig vernünftigen Menschen, die in dem Buch vorkommen. Aber diese
Auswahl ist natürlich nicht repräsentativ für die Israelis, sondern
entspricht meiner Art zu recherchieren. Für das Buch konzentrierte ich
mich ganz auf Anomalien, so wie sich ein Kriminalist bei seiner Arbeit
nur auf Verbrechen konzentriert. Die Mehrheit der Israelis sind
selbstverständlich ganz normale Menschen - sie wollen schlafen,
arbeiten, ficken, einkaufen, und keiner von ihnen käme auf den Gedanken,
den Freitagnachmittag mit Demonstrationen zur Durchsetzung der
Thora-Gebote zu verplempern.
Den Schriftsteller Yoram Kaniuk rechnen
Sie auch unter die "Irren von Zion"?
Nein, um Gottes willen. Er und einige andere
Gesprächspartner berichten aber über Verrücktes. Und Kaniuk macht eine
interessante Analyse: Es sieht nämlich nicht nur den tiefen Widerspruch
zwischen Israelis und Palästinensern, sondern einen ebenso tiefen
zwischen weltlichen Juden und jüdischen Fundamentalisten. Deswegen, so
sein Vorschlag, müßte man das Land in drei Teile aufstückeln: Einen
Palästinenserstaat, ein "Königreich von Judäa" für die Orthodoxen und
das weltliche Israel an der Mittelmeerküste. Das ist "kaum machbar, aber
trotzdem überlegenswert", meint Kaniuk. Da hat er recht.
Sie geben das moderne Israel schon
verloren?
Das will ich damit nicht sagen. Aber es ist
doch verrückt, daß sich die Mehrheit der Vernünftigen nicht gegen die
durchgeknallte Minderheit durchsetzen kann, sondern daß diese das Leben
immer stärker prägt. Aber vielleicht ist das gerade ein Resultat davon,
daß Israel in den letzten fünfzig Jahren ein so demokratischer Staat,
eine so liberale Gesellschaft geworden ist? Ein totalitärer Staat hätte
die religiösen Fanatiker schon längst außer Kraft gesetzt. Und nur in
einer liberalen Gesellschaft können es sich die Bürger leisten, ihr
Privatleben zu pflegen. Das gibt aktivistischen Minderheiten ein
Übergewicht in der Öffentlichkeit. So gesehen, könnte man die Umtriebe
der Orthodoxen mit mehr Gelassenheit betrachten, würden sie nicht den
Ausgleich mit den Palästinensern gefährden.
Ich hätte mir gewünscht, daß Israel zu
seinem 50. Geburtstag Frieden mit den Palästinensern sucht. Statt dessen
ist die Westbank zu einem Abenteuerspielplatz für Verrückte geworden -
unter den Siedlern befinden sich kaum gebürtige Israelis, sondern
eingewanderte Spätbekehrte aus Frankreich und den USA. Der arbeitslose
Lehrer aus Arizona, der eben erst nach Gaza umgezogen ist und jetzt den
um die Ecke geborenen Palästinensern weismachen will, dies sei alles
sein Land und sie sollten abhauen - das ist ein Prototyp des Irren von
Zion.
Aber wie soll ein Ausgleich aussehen? Das
Tragische an der Situation ist doch, daß ein Palästinenserstaat auch
keine Lösung sein kann. Sicherlich werden die Palästinenser unter
israelischer Besatzung zum Teil schikaniert - aber ihre individuellen
Freiheitsrechte würden noch stärker beschnitten, wenn sie ihren eigenen
Staat hätten. Den würde nämlich über kurz oder lang die Hamas
beherrschen ...
... da muß man gar nicht auf die Hamas
warten. Für das Buch habe ich mit einem palästinensischen Professor der
Nablus-Universität gesprochen. Unter israelischer Besatzung konnte er
immerhin seine Bücher veröffentlichen, zum Teil aus dem Gefängnis
heraus. Seit Arafat herrscht, kann er nur noch im Ausland publizieren.
Ein unhaltbarer Zustand ist auch, daß Arafat bisher keine einzige
Bankverbindung eingerichtet hat, die von den Geberländern kontrolliert
werden kann. Alles läuft über seinen Schreibtisch. Das hat Folgen: Ein
Drittel des Budgets der Autonomiebehörde versickert auf
Nimmerwiedersehen. Für all das sind die Israelis natürlich nicht
verantwortlich. Wenn die Palästinenser unbedingt eine kleine miese
Diktatur haben wollen, sollen sie eine bekommen.
Was wäre die Alternative?
Die Palästinenser müßten so vorgehen, wie
die Zionisten vorgegangen sind: Also zuerst eine funktionierende
Infrastruktur und eine funktionierende Wirtschaft aufbauen, wie es in
den zwanziger und dreißiger Jahren in Tel Aviv und in den Kibbuzim von
den Juden gemacht wurde. Daraus wächst dann in einem zweiten Schritt ein
Staat. Bei den Palästinensern ist es umgekehrt: Arafat hat den Bau des
Hauses mit dem Dach begonnen. Sie haben eine Regierung, eine Flagge,
eine Hymne, Briefmarken - aber sie haben nicht einmal eine
funktionierende Müllabfuhr.
ìWenn Israel die Grenze schließt, bricht im
Autonomiegebiet alles zusammen - dafür ist Arafat verantwortlich, nicht
die Israelis. Aber auch die Israelis müßten für den Aufbau der
Wirtschaft in den Autonomiegebieten mehr machen. Und zwar in ihrem
eigenen Interesse: Ich glaube an den humanisierenden Effekt von
Korruption. Korruption durch Wohlstand. Israel müßte ein Interesse
haben, die Palästinenser zu korrumpieren.
Wie jeder kluge Kopf haben Sie lange Zeit
in Ihrem Leben zur Linken gehört. Sie haben mit ihr gebrochen, als Sie
entdeckten, daß deren Israel-Kritik, der Antizionismus, nur eine Larve
des Antisemitismus ist. Nun haben Sie selbst ein Israel-kritisches Buch
gemacht. Die Antizionisten werden sich freuen.
Das interessiert mich nicht. Bei meinem
Streit mit der Linken habe ich nicht Israel verteidigt, sondern die
unterschiedlichen Maßstäbe der Linken angegriffen: Israel galt ihnen als
Hort des Bösen, die sogenannten Volksdemokratien außenrum wurden
gefeiert. Oder wenn ich an Ströbele denken, den Prototypen des linken
Antisemiten: Der wollte Israel keine Patriot-Raketen gegen Saddams
Giftgas zukommen lassen - hatte aber keine Schwierigkeiten mit der
Kampagne "Waffen für El Salvador". Und Zwerenz dekretierte par ordre du
mufti: "Es gibt keinen linken Antisemitismus."
Die genannten dramatis personae haben die
politische Bühne nicht verlassen.
Es ist doch seit dem Golfkrieg merklich
ruhiger geworden. Der linke Antisemitismus hat, zusammen mit der Linken
selbst, an Bedeutung verloren, weil ihr entscheidender Rückhalt in Form
des realen Sozialismus weggefallen ist.
Ich glaube nicht, daß der Antisemitismus der
Linken aus ihrem Linkssein resultiert. Linke waren und sind
antisemitisch, weil sie Kinder der deutschen Gesellschaft sind.
Da haben Sie schon recht. Die sozialistische
Weltanschauung war nur die Leinwand, auf der die Linke ihren von den
Vätern übernommenen Antisemitismus projiziert hat. Faßbinder läßt in
seinem Stück "Die Stadt, der Müll und der Tod" den Antisemiten sagen:
"So denkt es in mir." Dieser Satz ist genial. Er zeigt, daß Faßbinder
kein Antisemit war. Denn was er den Antisemiten sagen läßt, würde ein
realer Antisemit nie sagen - diese Reflexionsstufe hat der gar nicht.
"So denkt es in ihnen" - das trifft auch auf
den Antisemitismus in der Linken zu. Übrigens bis heute: Als Netanyahu
vor kurzem den Rückzug aus dem Südlibanon anbot, lautete die Überschrift
der Frankfurter Rundschau: "Israel droht mit Rückzug". Man muß sich
vorstellen, so eine Überschrift kommt vielleicht von einem Autor oder
Korrespondenten, aber danach wird sie noch vom zuständigen Redakteur,
vom Korrektor und vielleicht sogar vom Ressortleiter gesehen. Und keinem
fällt etwas auf, es wird abgesegnet. Israel kann machen, was es will, es
ist immer schuldig - "so denkt es" in der Frankfurter Rundschau.
Eine unausgesprochene Verbindung zwischen
Ihrer Kritik an den Linken und der Kritik an den jüdischen
Fundamentalisten in Ihrem neuen Buch ist wohl die Verteidigung des
Zionismus, oder?
Es gibt keine jüdischen Werte, es gibt nur
universale Werte. Der Zionismus als säkulare Weltanschauung hat dies
deutlich ausgesprochen, von daher war er zu seiner Zeit progressiv.
Herzl hat sich immer für einen Judenstaat ausgesprochen, nie für einen
jüdischen Staat. Die Orthodoxen dagegen wollen einen jüdischen Abklatsch
Teheraner Verhältnisse.
Die säkulare Essenz des Zionismus ist also
verteidigenswert, auch wenn der Zionismus selbst heute keine Rolle mehr
spielt. "Al t'daber Zionut", "Red keinen Zionismus", sagen die jungen
Leute in Tel Aviv, wenn sie sagen wollen: "Red keinen Unsinn."
Interview: Jürgen Elsässer (
Jungle World)
Henryk Broder: Der 1946 in
Katowice geborene Journalist ist in der Vergangenheit selten einem
Streit aus dem Wege gegangen. Seine besondere Zuneigung galt dabei immer
der Linken. Als sich konkret im Golfkrieg 1991 im Unterschied zur linken
Mehrheitsmeinung für Israel einsetzte, lobte er die Zeitschrift
öffentlich. In seinem Buch "Der ewige Antisemit" rechnete er 1986 mit
dem Spiegel-Herausgeber ab: "Nur einen vergleichsweise geringen
Unterschied zwischen einem Propagandisten der 'Auschwitz'-Lüge und einem
seriösen Publizisten wie Rudolf Augstein" könne er erkennen. Seither
haben sich das Blatt und sein Chef in puncto Antisemitismus nicht
gebessert - Broder aber schweigt. Auf die Frage, warum dies so sei,
wollte er sich nicht öffentlich äußern. Broder ist seit einigen Jahren
regelmäßiger Spiegel-Autor.
A
Jewish Sign from Central Europe:
www.hagalil.com
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