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Antisemitismus

Mohl byste neco rici o antisemitismu v Rize? Pozoroval jste ho osobne, byl jste jim osobne zasazen?

Nemeli jsme skoro zádne kontakty s nezidovskym svetem, ackoli jsme nezili v uzavrenem ghettu. Oficiáini rusky antisemitis-mus se projevoval v aparátu zákonú, jehoz prostrednictvim byla omezena práva Zidú usazovat se v jinych oblastech imperia, navstevovat urcite stredni a vysoke skoly, vykonávat nekterá povoláni a cinnosti a tak dále. Ale v rámci techto omezeni byl Status Zidú chránen právem a zákonem. V otázkách civilniho práva byla práva Zida a nezida stejná. Tisice zidovskych rodin se ovsem zdrzovaly v Rize protiprávne, nebot' mesto se naiezalo mimo oblast, jez byla Zidúm vymezena. Bylo tudiz neustále nutno uplácet policii, aby tento stav veci ignorovala a trpela. Bez úplatku se nedalo zit, a proto meli antisemite do jiste miry prav-du, kdyz tvrdili, ze Zide jsou odpovedni za korupci, protoze upláceji úredniky. Navzdory omezenym moznostem univerzitni-ho studia existovali zidovsti lekari, zidovsti právnici apod. Záko-nodárstvi jako celek bylo sice antisemitske, ale nikoli natolik, ze by znemoznovalo 2idúm zit. Predstavte si, ze sionistická organi-zace byla legálni a vycházely noviny v hebrejstine a jidis, samo-zrejme v rámci vseobecnych tiskovych omezeni. Tesili jsme se skutecne relativne velke duchovni svobode, kazdopádne alespon po roce 1905. 'Tehdy byla zrusena cenzura, coz byla jedna z nej-vetsi vymozenosti revoluce roku 1905, která ve viastnim smysiu ztroskotala. V poslednich dvanácti letech carskeho rezimu v Rus-ku, tedy do roku 1917, jiz zádná cenzura neexistovala. Zide smeli rovnez svobodne budovat a udrzovat synagogy a sociáini instituce. Samozrejme vsak tento rezim nenávideli, protoze krome omezeni pricházely cas öd casu i pogromy.

Byl jste svedkem nejakeho pogromu?

Ne. K pogromu v Kisinevu doslo roku 1903, v roce, kdy jsem se narodil. To je velmi zajimave: dnes u nás o Kisinevu vi kazde dite, uci se o tom ve skole, Bialik o nem napsal Ve meste vraz-denia. pod dojmem z kisinevskeho pogromu zacala druhá alija (vina vystehováni do Erec Jisra'el). Kdyz se dnes zeptám miadych lidi: Vite, co se stalo v Kisinevu?, mysii si vetsinou, ze to byl straslivy masakr. Ale meli by vedet, ze tarn bylo tehdy zavraz-deno 41 Zidú, znásilnena desitka zen a vydrancováno asi patnáct obchodú. A tehdy to zdesilo cely svet! V zidovskem svete mel tento pogrom za následek duchovni revoluci. Ale otrásl i nezidovskym svetem! Dnes uz Jen stezi pochopime, jak vypadal svet na prelomu 19. a 20. stoleti. Byla to skutecne humánni doba lidskych dejin. Pozornost vzbudil i proces s Beilisem (Menachem Mendel Beilis byl obvinen z rituálni vrazdy kresl'anskeho ditete a souzen roku 1913 v Kyjeve), ktery otrásl celym civilizovanym svetem. Nakonec byl Beilis osvobozen. Take carsky soud sestával z po-rotcú, a navzdory propagande a tiaku - i kdyz ne fyzickemu -probehia celá vec neúspesne a porotci Beilise osvobodili.

Jednd se v pripade dnesniho antisemitismu jednoduse o xeno-fobii, nebojsoujeho koreny hlubsi?

Nemysiim si, ze antisemitismus predstavuje v dnesnim svete úcinny Faktor. Antizidovske nálady jsou sice v krestanskem svete rozsireny dodnes, ale Cinane a Indove, coz jsou vice jak dve miliardy lidi, neco takoveho vúbec neznaji. Ale ani v západnim svete dnes protizidovske nálady nemaji zádny spolecensky nebo politicky vyznam.

Napriklad mezi cemym obyvatelstvem v Americe existuß zretelne náznaky akutniho antisemitismu!

Jiste, ale bráni to snad nekomu, aby se stal senátorem nebo guvernerem?

Antisemitismus

Können Sie über den Antisemitismus in Riga erzählen? Haben Sie persönlich davon etwas gemerkt, waren Sie persönlich betroffen?

Wir hatten fast keinen Kontakt zu der nicht-jüdischen Welt, obwohl wir nicht in einem abgeschlossenen Ghetto lebten. Der offizielle Antisemitismus m Rußland fand seinen Ausdruck in einem Gesetzesapparat, durch den die Rechte der Juden, sich in weiten Gebieten des Reiches niederzulassen, bestimmte Mittel- und Hochschulen zu besuchen, bestimmte Berufe und Beschäftigungen zu ergreifen und noch vieles mehr, eingeschränkt wurden Aber im Rahmen dieser Beschrankungen war der Status der Juden durch Recht und Gesetz geschützt In zivilen Streitfragen war das Recht von Jude und Nicht-Jude gleich Richtig ist natürlich, daß sich Tausende von Familien in Riga illegal aufhielten, denn die Stadt befand sich außerhalb des für Juden zulassigen Siedlungsgebietes Es bestand also stets die Notwendigkeit, die Polizei zu bestechen, damit sie diesen Zu-

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stand ignoriere und dulde Es war nicht möglich, ohne Bestechungen zu existieren, deshalb hatten die Antisemiten in gewisser Weise Recht, die behaupteten, Juden seien für die Korruption verantwortlich, weil sie die Beamten bestechen Trotz des gesetzlich eingeschränkten Universitats-studiums für Juden gab esjudischc Arzte, Judische Rechts-anwalte u a Die gesamte Gesetzgebung war zwar antisemitisch, aber nicht in dem Sinne, daß sie den Juden nicht ermöglicht hatte zu leben Stellen Sie sich vor, die Zionistische Organisation war legal und es erschienen Zeitungen auf Hebräisch und Jiddisch, selbstverständlich im Rahmen der allgemeinen Presseeinschrankungen

Es gab tatsächlich eine relativ große geistige Freiheit, auf jeden Fall nach 1905. Nach diesem Datum gab es keine Zensur, das war eine der Errungenschaften der Revolution von 1905, die Ja eigentlich gescheitert war In den letzten zwölf Jahren des zaristischen Regimes in Rußland, bis 1917, gab es keine Zensur mehr Ebenso war es den Juden erlaubt, Synagogen und soziale Einrichtungen zu errichten und zu erhalten Aber selbstverständlich war das Regime bei den Juden verhaßt, denn neben den Beschrankungen gab es von Zeit zu Zeit auch Pogrome

 

Herr Leibowitz, waren Sie je Zeuge eines Pogroms:

Nein. Der Pogrom in Kishinev fand im Jahre 1903, meinem Geburtsjahre, statt. Das ist sehr interessant. Heute weiß jedes Kind bei uns von Kishinev, man lernt darüber in der Schule, Bialik schrieb »In der Stadt des Mordens«, und unter dem Eindruck des Pogroms in Kishinev begann die zweite Aliya (Einwanderung nach Eretz Israel). Wenn ich heute die jungen Leute frage "Wißt ihr, was in Kishinev geschehen ist?", dann denken die meisten an ein schreckliches Massaker. Aber sie sollten wissen, daß 41 Juden ermordet, ein Dutzend Frauen vergewaltigt und ungefähr fünfzig Geschäfte geplündert wurden - und das hat damals die Welt erschreckt! In der jüdischen Welt führte es zu einer geistigen Revolution. Aber der Pogrom erschreckte auch die nichtjüdische Welt. Heute kann man kaum mehr verstehen, wie die Welt im 19.Jahrhundert und zu Beginn des 20.Jahrhunderts aussah. Das war wirklich eine humane Zeit in der Geschichte der Menschheit.

Aufsehen hat auch der Prozeß gegen Beilis erregt (Menachem Mendel Beilis wurde des Mordes an einem christlichen Kind aus religiösen Gründen beschuldigt und in Kiew vor Gericht gestellt), der die gesamte zivilisierte Welt erschütterte. Letztendlich wurde Beilis freigesprochen. Auch das zaristische Gericht war ein Geschworenengericht, und trotz der Propaganda und des Druckes - zwar keines physischen -, denn man bedrohte die Richter nicht mit Gefängnisstrafen - von seiten der Regierung, verlief die Sache für sie erfolglos und die Geschworenen sprachen Beilis frei.

Handelt es sich heute beim Antisemitismus einfach um Xenophobie, oder liegen seine Wurzeln tiefer?

Ich glaube nicht, daß der Antisemitismus heute ein wirksamer Faktor in der Welt ist. Anti-Jüdische Stimmungen sind auch heute in der christlichen Welt weitverbreitet, aber Chinesen und Inder haben davon nichts gehört, das sind mehr als zwei Milliarden Menschen. Aber auch in der westlichen Welt heute kommt der anti-jüdischen Stimmung keine gesellschaftliche oder politische Bedeutung zu.

Unter der schwarzen Bevölkerung in Amerika gibt es zum Beispiel deutliche Zeichen von akutem Antisemitismus?

Sicherlich, aber hindert das heute einen Juden daran, Senator oder Gouverneur zu werden?

Ganz ähnlich war es doch aber auch in Deutschland. Ist Walter Rathenau etwa nicht zum Außenminister ernannt worden?

Aber Rathenau ist dann auch ermordet worden. Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Als vor 70 Jahren ein Jude zum Außenminister der Weimarer Republik ernannt wurde, war das ein erstaunliches, außergewöhnliches Ereignis, eine Sensation, nicht nur bei den Antisemiten, die damals noch nicht Nazis, sondern »Völkische« hießen — sondern auch bei den Liberalen. Eine derartige Nominierung wurde keineswegs als etwas Natürliches aufgefasst. Das gleiche galt auch seinerzeit in Bezug auf Leon Blum in Frankreich. Aber heute, wer gibt schon darauf acht, dass ein jüdischer Flüchtling in Amerika zum Außenminister und Vorsitzenden des nationalen Sicherheitsrates ernannt worden ist?

Natürlich hatte Kissinger politische Gegner, aber die Tatsache, daß er Jude ist, hatte damit nichts zu tun. Darauf achtete niemand, obwohl jedermann es wußte. Das ist heute also grundlegend anders als zu Beginn dieses Jahrhunderts. Wer denkt schon daran, daß Ed Koch Jude ist?

Das ist vielleicht kein gutes Beispiel.

Warum? Er wurde zweimal mit überzeugender Mehrheit zum Bürgermeister von New York gewählt, auch von den Schwarzen, den Puertoricanern, den Italienern und den Iren. Er ist dabei ausgerechnet ein Mensch, der sein Judentum bei allen möglichen Gelegenheiten offen demonstriert. Er tut dies, obwohl es sehr wahrscheinlich ist, daß seine nicht-jüdischen Wähler ihn im Gespräch untereinander »bloody Jew« oder »dirty Jew« nennen.
Man kann von einem Juden in Amerika unmöglich fordern, daß er sich selbst als im Exil lebend betrachtet. Denken Sie, die extrem anti-zionistischen Satmer-Chassidim fühlen sich dort im Exil? Diese Leute wissen natürlich, daß sie vom religiös-theoretischen Standpunkt aus im Exil leben, bis der Messias kommt, aber zur Stunde sind sie de facto nicht im Exil. Sie haben alles, was sie sich nur wünschen können. Sie führen ihr Leben nicht nur so, wie sie es wollen, dem Judentum entsprechend, sondern sie nehmen gleichzeitig auch an den Präsidentenwahlen teil.

Jemand, der zu einem Diner bei Präsident Carter eingeladen war, erzählte mir, daß Rosalyn Carter in einem Gespräch mit ihm über jüdische Angelegenheiten alles über die Höfe der chassidischen Admorim wußte. »Die Anhanger des Lubawitschers,« sagte sie, »waren für uns (das heißt für die Demokraten), die Satmers stimmten gegen uns (das heißt für die Republikaner)« — oder umgekehrt. Aber bei allen handelt es sich um amerikanische Gruppen. Diese Chassidim sind Amerikaner!

Stießen Sie während Ihrer Studentenzeit in Deutschland auf Antisemitismus?

Die gesamte Atmosphäre war von Antisemitismus geprägt, ohne daß ein Jude davon betroffen wurde. Nicht nur persönlich, sondern auch nicht in seinem Status und seinen Fortschnttsmoghchkeiten Das hat mir auch mein Vater gesagt Sicherlich Er kannte das genausogut wie ich Die Atmosphäre war antisemitisch, aber das hinderte mich, den russisch-Judischen Flüchtling, nicht am Universitatsstudium, noch verschloß es mir die Möglichkeit, den Weg einer akademischen Karriere einzuschlagen Ich hatte zweifellos eine Professur im Weimarer Deutschland erhalten können Hatten Sie dort nicht-judische Freunde' Nein Freundschaften gab es nicht Die Beziehungen waren korrekt, aber es gab eine absolute Distanz in dieser antisemitischen Atmosphäre

Kann man sagen, daß das Berlin der zwanziger Jahre das war, was heute New York ist7

Ja Aber es ist schwierig, festzustellen, ob Berlin vom kulturellen Standpunkt nicht auf noch höherem Niveau stand New York ist keine Stadt Sie können durch weite Stadtteile New Yorks gehen, ohne ein Schild in englischer Sprache zu sehen, sie werden nur spanische oder chinesische entdecken New York ist ein unvergleichliches Phänomen Wenn wir New York sagen, meinen wir Manhattan, und vielleicht noch nicht einmal das, sondern nur den südlichen Teil - sudlich vom Central Park Deshalb kann man es nicht mit Berlin vergleichen Das ist eine völlig andere Welt Auch in Berlin gab es einen sehr großen, ja gewaltigen jüdischen Einfluß, aber gerade nicht im quantitativen Sinne Ich glaube, die Juden machten niemals mehr als vier Prozent der Bevölkerung Berlins aus (weniger als 200 ooo),

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in New York sind es 25 Prozent Aber ihr Anteil am Uni-versitatswesen war sehr hoch, und das Theater, das Zeitungswesen u a — das waren fast alles »jüdische Angelegenheiten« Das »Berliner Tageblatt« war die wichtigste deutsche Zeitung, danach kam die »Vossische Zeitung« Die erste gehorte Mosse, die zweite Ullstem, beide waren Juden, und auch der Redakteur des »Vorwärts« — der führenden sozialdemokratischen Zeitung - war Jude Wenn die Deutschen von der »Judenpresse« sprachen, war das durchaus richtig m bezug auf Berlin und Frankfurt, nicht jedoch in bezug auf die Provinz Fühlten Sie sich in Berlin als Ost-Jude' Unter einem bestimmten Teil der deutschen Juden durchaus Fragen Sie meine Frau Grete, was man zu ihr sagte, als wir heiraten wollten

Grete Leibowitz »Schade um Grete Winter Jetzt heiratet sie einen Ost-Juden «

Auch in Ihrem Elternhaus bekamen Sie das zu hören' Grete Leibowitz Nein, das sagte ein Junge aus Köln, dem es »schade um mich« war

Sie akklimatisierten sich sogleich, oder hatten Sie das Gefühl, ein Flüchtling zu sein'

Naturlich fühlte ich mich als Flüchtling Wir warenja kerne Deutschen

Erhielten Sie spater die deutsche Staatsbürgerschaft' Sicher Aber das ändert nicht die Natur des Menschen Nachdem ich einen Lehrauftrag an der Universität erhalten hatte, erhielt ich auch ohne Schwierigkeiten die preußische Staatsbürgerschaft

Gab es zwischen den Ost-Juden und den deutschen Juden Spannungen'

Nehmen wir Köln, die Stadt meiner Frau, als Beispiel Dort herrschte eine Spannung zwischen der lokalen Judischen Gemeinde und den Leuten aus Galizien Dennoch waren alle Gahzier Mitglieder der Gemeinde, und ihre Kinder sprachen bereits Deutsch

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Grete Leibowitz Aber die Eltern sprachen noch Jiddisch' Sie wurden von uns für minderwertig gehalten, aber ihre Kinder beherrschten bereits die Bibel mit den Erklärungen Raschis, was wir als deutsch-jüdische Kinder erst spater gelernt haben

Was bedeutete dann der Begriff »Ost-Jude«? Er beschrieb eine Tatsache Wir kamen aus einer anderen Welt Vergessen Sie nicht, daß sich das deutsche Judentum als ein integraler Bestandteil der deutschen Kulturwelt fühlte

Grete Leibowitz ich erinnere mich an meinen letzten Besuch in Bonn Das war schon zur Zeit des Hitlerregimes Der Judische Sportverein nahm keine galizischen Juden als Mitglieder auf Ich sprach mit dem Vereinsvorsitzenden und sagte ihm »Wissen Sie -jetzt sind die deutschen Juden in London die Ost-Juden in den Augen der englischen Juden « Er war sehr erschrocken

Merkten die Juden in Deutschland nicht, daß der Antisemitismus sich wegen des Zustromes Judischer Flüchtlinge aus dem Osten verstärkte7

Grete Leibowitz Ja, sicherlich Man sagte, die »Ost-Juden bringen den Antisemitismus mit« Die Ost-Juden haben den Antisemitismus gebracht17 - Man wußte doch, daß ganz Deutschland antisemitisch geprägt war, aber dabei handelte es sich um einen Gefühlsantisemitismus, nicht um einen aktiven Das war schon in den Tagen Kaiser Wilhelms so

Gab es unter den Studenten der Universitäten Handgemenge7 Nein Davon horte man niemals Selbst nicht, nachdem Hitler die Macht erhalten hatte

Grete Leibowitz Die Deutschen unterschieden zwischen deutschen Juden und Ost-Juden Das war anfänglich die Art der nazistischen Gesetzgebung In den ersten Jahren des Hitlerregimes rührte man die Juden nur gesetzlich, aber weder physisch noch wirtschaftlich an Die Juden wurden langsam aus der deutschen Gesellschaft

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ausgeschlossen Man entließ alle jüdischen Staatsbeamten und die Professoren der Universitäten, aber alle erhielten Pensionen, bis 1938 Die Juden fühlten sich als integraler Bestandteil der deutschen Umwelt und waren es ja auch wirklich, und plötzlich wurden sie abgewiesen Das traf schwer

Grete Leibowitz Als uns mein Vater hier in Eretz Israel 1938 besuchte - er kehrte noch nach Deutschland zuruck und starb dort —, erzahlte er, er habe einen seiner Schulfreunde auf der Straße getroffen und zu ihm gesagt »Johannes, schämst Du Dich nicht wegen der Lieder, die Ihr da singt7 >Stellt die Juden an die Wand'<« - Der Freund habe geantwortet »Emil«, so hieß mein Vater, »Du hastja recht, in meinem Waggon wirst Du das nicht hören'« Akzeptieren Sie die These Cershom Scholems, es sei ein Selbstbetrug der Juden Deutschlands gewesen, zuglauben, sie seien ein Teil des deutschen Volkes7

Ich weiß nicht, ob das völlig richtig ist Die Juden waren auf jeden Fall sehr tief im deutschen Volke verwurzelt und involviert

Aus ihrem eigenen Judischen Blickwinkel Aber die Frage ist, wie die Deutschen das sahen

Tatsache ist, daß sie es akzeptierten Sie verletzten die Juden nicht und hinderten sie an nichts Es fallt mir schwer, das Bild, das Scholem zeichnet, zu beurteilen Vielleicht weil ich ein »Outsider«, ein »Ost-Jude«, war Scholem spurte das anders, denn er war ja wirklich ein Bestandteil jener Welt - wie auch Ernst Simon, in beiden Familien gab es schon Getaufte Ich bin einfach nicht kompetent, darüber entsprechend zu urteilen

Sie kamen bereits 1934 nach Eretz Israel Sahen Sie damals schon, was in Deutschland geschehen wurde7 Niemand ahnte das, selbst im Traum nicht Furchtete man nicht, es werde Pogrome gegen die Juden geben7 Nein, es sah überhaupt nicht nach Pogromen aus Absolut nicht Man darf nicht vergessen, daß die »Judische Rund-

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schau«, das zionistische Organ der deutschen Juden, bis 1938 erschienen ist Robert Weltsch konnte seinen berühmten Aufsatz »Tragt ihn mit Stolz, den gelben Fleck«, der ein wichtiges Zeugnis der Judischen Geschichte ist, publizieren Die deutsch-nazistische Zensur hatte ihn zur Veröffentlichung freigegeben' Das waren damals auch die Blüte-Jahre von Bubers Judischem Lehrhaus Niemand dachte daran, was geschehen konnte, obwohl es schon ein schwerer Schlag war, von der Welt, die die Juden auch als ihre Welt begriffen, ausgeschlossen zu werden Grete Leibowitz 1-933 nahm man meiner Mutter den Paß fort, das war einJunstischer Akt, der keine reale Bedeutung im Leben hatte

Aber es herrschte doch Furcht, wie ich den Erzählungen meiner Mutter entnehmen konnte

Sicherlich, aber viel bedeutender ist, daß die zionistische Organisation der Juden in Deutschland in legaler Form bis 1938, also noch fünfJahre nach der Übertragung der Regie-rungsgewalt an Hitler, bestehen konnte' Selbst als Hitler schon von Judenverfolgungen sprach7 Das nationalsozialistische Parteiprogramm gab es seit 1923, zehn Jahre vor der Machtübernahme Wenn man heute die Dokumentarfilme über die Massenversammlungen der Nazis und die dortigen Parolen sieht — so erwecken die Gesichter doch Furcht und Schrecken Richtig Aber auf allen Massenaufmärschen in Nürnberg und wo auch immer vergriff man sich nicht an den Juden' Grete Leibowitz Das ist nicht richtig In Heidelberg wohnten wir gegenüber dem Braunen Haus, dem SS-Quartier, und Jeden Morgen erwachten wir um fünf durch die Marschmusik und die anti-Judischen Lieder Trotzdem griff man kemenJuden an Ich spreche nicht über die allgemeine Stimmung, sondern über die Wirklichkeit Ich erinnere mich noch an die Stimmung im Januar 1933, als Hitler an die Macht kam Wir wußten, wer Hitler war, aber niemand dachte daran, was Hitler bedeutete, und es konnte sein, daß selbst die Nazis sich damals nicht träumen ließen, was nachher in Auschwitz geschehen ist. Jedenfalls nicht in den ersten Jahren

Natürlich hatte man Furcht vor den nationalsozialistischen Banden, die sich in den Straßen herumtrieben, und mit der Parole »Juden raus« und den Liedern vom »Jüdischen Blut« und ähnlichem drohten. Aber gleichzeitig zerbrach am Tage des Boykotts 1933 keine einzige Fensterscheibe eines Jüdischen Geschäftes. Die Männer der SA und SS warnten die Leute davor, bei Juden zu kaufen, rührten aber kein Geschäft an. Solange noch nicht der ausdrückliche Befehl der Obrigkeit vorlag, das auszuführen, was man die »Kristallnacht« (1938) nannte, kam es aus der deutschen Bevölkerung fast nicht zu Gewalttätigkeiten gegen Juden. Deshalb sind vom geschichtsphilosophischen Aspekt alle Theorien, die behaupten, der Nazismus sei eine konsequente Fortentwicklung der deutschen Geschichte, einfach falsch.

 

hagalil.com 04-04-03


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